India – Nördlich des Nordens Teil II

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Zwei tüchtige, motivierte Rucksackhelden auf der beschwerlichen Pilgerfahrt nach Leh – so romantisch oder ähnlich haben wir uns diese Geschichte zurechtgedacht. Wir feiern uns also regelrecht für die ersten 96 erfolgreich absolvierten Stunden unseres Vorhabens. Man will ja nur mal eben ins Himalaya. Man könnte also von so etwas wie einer Halbzeit sprechen. Der Bus durch die Berge, der uns der nächsten Etappe (Manali) näherbringen soll, ist bereits gebucht, das ganz große Ziel zum Greifen nah. Doch es kommt oft anders, als man will.

Bis an die Zähne bewaffnet legt uns eine Armee Salmonellen des Bataillons Unhygienisches & Co. flach. Ganze fünf Tage rühren wir keinen Finger. Der Gang zum Klo in allen vorstellbaren Varianten wird zu unserem Schattendasein. Tag sechs ist gekrönt von dem Kauf von vier Bananen. Der Kreislauf übt sich im Ausdruckstanz, das Fieber erwärmt den dunklen, feuchten Raum unseres Hotelzimmers. Ganze sieben Tage vegetieren wir vor uns hin, bis wir das Tageslicht länger als fünf Minuten erblicken können. Dennis trägt mich regelrecht durch die engen Berggassen Shimlas. Vergeblich würde man hier ein Klo suchen. Wir kehren um, die Anstrengung ist zu groß. Die Höhe von 3500 Metern trübt die Sinne und die Müdigkeit liegt schwer auf unseren Schultern. So wagen wir jeden Tag ein erneutes Abenteuer, bis wir es nach ganz oben zum Ausguck schaffen. Zur Belohnung gibt es endlich mal keine Banane oder trockenen Reis. In einem hübschen Restaurant sitzen wir auf einer der seltenen Sonnenterassen, stürzen uns wie Geier auf eine Portion Pommes und naschen gierig sicherlich mehr Salz als Pommes.

Nach zehn Tagen wagen wir die ungewisse Weiterreise. Die Krankheit wird uns bis zum Ende der Weltreise schwer im Gepäck liegen, das schon mal vorweggenommen. Wir schaffen es bis nach Manali, wo wir uns in den nächsten Bus zwängen. Ein 28-Stunden Höllentrip über drei 5000er Pässe. Es wäre doch gelacht, wenn wir das nicht packen.

Insgesamt entkommen wir einem Erdrutsch, der direkt vor unserem Bus runtergeht, sehen drei geplättete LKWs in den tiefen Schluchten, schiffen auf 5000 Metern gegen den Wind, durchfahren reifentiefe Wasserüberläufe, überstehen einen langweiligen Kurvenrückstau und ungezählte Nervenkitzel beim Anblick der besorgniserregenden Schluchten, die stets eine knappe Handbreite zu einer Seite des Buses abfallen. Es regnet ununterbrochen. Es ist bitterkalt. Ich sitze diesmal nicht am Fenster…

Wasserfälle ziehen tiefe Furchen durch die Berglandschaft. Bizarres uraltes Gestein verbirgt sich unter dunkelgrünem Moos und als wir die Südseite des ersten Passes erreichen, sind die Wolken wie weggepustet und ein strahlendes blau gesellt sich in das perfekte Bild, das sich uns bietet. Das riesige Plateau, das sich vor uns erstreckt erinnert an Bilder aus den Nachrichten aus Afghanistan. Nun liegt ein trockenes, staubiges hellbraunes Sandtal zu unseren Füßen und der Bus windet sich stetig über unzählige Serpentinen weiter in die Tiefe. Stundenlang kurven wir durch diese Niemalslandschaft, bis wir einen der höchsten Pässe Indiens erklimmen. Wie in einem Zeitraffer glauben wir uns nach Nepal versetzt. Frostig graues Gestein, stählern blauer Himmel, grüne Hänge und wild flatternde Gebetsfähnchen prägen das einmalige Panorama. Allein für diese gewaltigen Anblicke, so denken wir, hat sich dieser Trip schon gelohnt.

Als wir zwei Tage später in Leh einfahren, senden wir schon ein kleines Dankesgebet gen Himmel. Trotz Unwohlsein und rauer, menschenfeindlicher Natur sind wir unversehrt angekommen. Obwohl bereits gewöhnt, macht sich die Höhe Lehs nach einigen Schritten bemerkbar. Die Atmung ist flach, die Schritte werden kürzer, die Pausen länger.

Wir hätten gar nicht erwartet, dass sich hier oben im abgeschiedenen Norden noch so ein lebendiges Fleckchen Erde auftun würde. Kleine Lädchen bieten bunte Kaschmirschals an, tibetische Exilhändler sitzen auf gestrickten Decken und preisen ihre reichhaltige Ware an. Esel streunen durch die Gassen und lassen sich gerne das ein oder andere Möhrchen gefallen, das ich ihnen anbiete. Ein Esel verfolgt mich mit hängendem Kopf gar zum Guest House. Trotz des vielen Gewimmels, das das Auge versucht zu erhaschen, strahlt der Ort eine gewisse Ruhe aus. Hoch über der Stadt thront der gewaltige Palast. Zu seinen Füßen liegt die historische Lehmstadt. Kleine Gassen ordnen das Durcheinander und ein leckerer Geruch von frischem Brot lockt die Einheimischen zu den Bäckern, die aus Tandoriöfen kleine, luftige Brote hervorzaubern. Von unserem Guest House haben wir einen fantastischen Überblick das Tal und genießen die Sonne von zwei gemütlichen Korbstühlen von unserem Balkon. Fast zum Weinen schön, wenn man die Tage zuvor durch so einen Höllentrip gegangen ist.

Wir werden uns in den letzten verbleibenden zehn Tagen im Norden Indiens noch auf zwei waghalsige Trips begeben. Im Nachhinein bin ich mir nicht mehr so ganz sicher, ob ich den Aspekt diesen einmaligen Ort muss ich sehen nochmals über die Sicherheit stellen würde. So etwas lässt sich immer schlecht im Voraus abwägen. Zusammenfassend kann man sagen, dass wir sowohl im Nubra Valley als auch am Pagong Lake unbeschreibliche Natur sehen durften, uns der Pakistanischen Grenze bis auf 5km annähern durften, ein ganzes aufgeregtes Dorf auf Pilgerreise begleitet haben, bei einer überaus netten Familie einen Homestay erleben und mit der Einsamkeit Hand in Hand gehen durften. Dem gegenüber stelle ich einen Auffahrunfall unseres idiotischen Fahrers auf 4000 Metern mit einem Abgrund zu unserer linken, der nicht nur Schissern Angst einflößen würde, einen verlogenen Ersatzfahrer, der uns mitten im Nirgendwo hat stehenlassen, damit wir uns selbst um eine Bleibe kümmern sollen, das Fahren auf blankem Fels auf 5300 Metern, die Einöde, in der dir wirklich niemand zu Hilfe kommen kann, wenn dir etwas passiert und letztlich das beängstigend hohe Militäraufkommen und seine Kontrollstationen. Lassen wir die Bilder lieber für sich sprechen.

Der zweite Trip war auf jeden Fall eine Fun-Nummer. Gemeinsam mit zwei Spanierinnen und einem Belgier, die wir in unserem Guest House kennengelernt haben, reisen wir ca. 5 Tage durchs Land. Spanier sind ja bekanntlich von Natur aus bierverträgliche Frohnaturen und unserem ernsten belgischen Freund konnten wir immer häufiger ein Lächeln abringen – quasi eine lustige Truppe auf Wanderschaft.

Gemeinsam buchen wir uns einen weiteren Fahrer, der uns über die Berge zum berühmten Pagong Lake bringen wird. Ein weiteres sechstündiges Unterfangen, was sich durch verschiedenste Besuche bei Klöstern und traditionellen Dörfern als doch recht amüsant und abwechslungsreich herausstellt. Gute Gespräche im Wagen überbrücken weitere Durststrecken und so suchen wir uns vor Ort ein Camp, wo wir die Nacht verbringen wollen. Gegen 18 Uhr ist es bereits schweinekalt und die Gastmutter bietet uns ein Maggi(!)-Süppchen vor dem Abendbrot an, was wir dankend annehmen. Die Spanierinnen verbringen die nächsten drei Stunden mit der Suche nach Bier. Ich glaube, sie haben das gesamte Tal mit Hilfe des Fahrers abgegrast – aber, Tatsache, sie haben fünf Flaschen Bier auftreiben können, was in religiösen Nordindien fast ein Ding der Unmöglichkeit darstellt. Ein kleiner Abendspaziergang und besagtes Bierchen runden den Abend ab.

Als Leh uns wiederhat, atmen wir tief durch, auch die zweite Tour unbeschadet und mit vielen Eindrücken im Gepäck, gemeistert zu haben. Ab nun heißt es, Seele baumeln lassen, Füße hoch, Sonne genießen und sich langsam aber sehr sicher von Asien zu verabschieden.