Carretera Austral – Reaching for the Stars

Die folgende Geschichte beginnt mit einem simplen, aber faszinierendem Foto, das Dennis im Internet fand.

"Capillas de marmol" CC 2.0 by Javier Vieras
“Capillas de marmol” CC 2.0 by Javier Vieras

Ganz einfach so schweben manchmal wunderbare Ideen durch den luftleeren Raum und sie packen einen blitzschnell, um dich nicht so leicht wieder zu verlieren. Ungefähr so verhielt es sich mit dem besagten Foto. Mir war vollkommen klar, dass wir dieses besondere Fleckchen Erde finden müssen – Kopf durch die Wand. Wie unpraktisch, dass die schönsten Orte ausnahmslos so schwer erreichbar sein müssen! Der realistische Pessimist klopfte umgehend heftig an die Tür und hielt vernünftige Vorträge über menschenverlassene Wüstenstreifen, totale breakdowns in der Einöde und unkalkulierbare Risiken auf unzivilisierten Off-Road Wegen. Beeindruckt nickten wir dem gestriegelten Herrn in Grau einsichtig zu und ergeben uns dem gemütlich winkenden Schicksal – solche Routen machen Andere, erfahrene Vögel mit dem passenden Equipment.

Doch die Idee hatte uns – meiner Meinung nach – nun einmal ausgewählt und bettelnd watschle ich noch Tage später hinter Dennis her, ob wir nicht doch vielleicht, ganz eventuell auch aus solch einem Holz geschnitzt sein könnten. Ich brachte ihn soweit, nach Puerto Montt in den Bus zu steigen. Wir würden dann mal weitersehen…Prima! Dem Ziel waren wir schonmal 1000km näher gekommen. 12 Stunden später finden wir uns am Steuer eines monströsen Allrad-Jeeps wieder. Die Rückbank vollbeladen mit Wasserkanistern (3 Liter pro Tag pro Nase), Lebensmitteln für sieben Tage (alles, was sich lange hält und keine Kühlung braucht…) und arg viel Zuversicht. Vor uns liegen nun satte 1800km Abenteuer in den südlichsten Weiten Chiles – der Carretera Austral.

Teil I – Puerto Montt nach Hornopirén 105km

Aufgeregt wie zwei Chicken cruisen wir den noch asphaltierten ersten Teil der Carretera. Im Navi schaukelt der Pfeil vergnügt entlang einer wild gezackten Linie. Heideland, winzig kleine Fischerdörfer mit bunten Häusern huschen auf der Linken vorbei, rechts begleitet uns der leuchtend blaue Pazifik. Aufgeregt rutsche ich auf dem Beifahrersitz hin und her und wechsle vom Schneidersitz in die Hühnerhocke und drücke mir die Nase an der Fensterscheibe platt. Schnell noch überfliegen wir ein x-tes Mal Routeninformationen, um für kompliziertere Eventualitäten gewappnet zu sein.

Das Hochgefühl steigt ins Unendliche, als die erste Schiffspassage, anders als im Voraus befürchtet, problemlos verläuft. Gefühlte zwei Minuten warten wir in einer kurzen Schlange am Hafenkai und schon geht es für schlappe 5€ für eine Stunde auf einen alten Kahn. Nahtloser hätte es kaum laufen können. Als Picknick gibt es einen feinen Walnuss-Bananen-Muffin auf der PickUp Ladefläche mit Blick aufs Wasser.

Zurück auf der Piste holt uns schließlich die Realität ein. Die ersten 45km Buckelpiste, garniert mit feinstem Geröll, liegen vor uns. Der Weg ist in den dichten Dschungel geschlagen, hinter uns wirbelt eine riesige Staubwolke. In kleinen Buchten halten wir und suchen das Meer, Berge und Vulkane in der Ferne. Der Wald schreit förmlich vor lautem Vogelgezwitscher. Die letzten Autos, die noch mit uns auf der Fähre waren, verlieren wir schnell aus den Augen. Wir sind alleine.

Ein ziemlich mulmiges Gefühl beschleicht einen jetzt schon, obwohl der Hafen gerade mal zehn Kilometer hinter uns liegt. Mutig geht’s weiter, wir kennen nur eine Richtung – vorwärts. Durchgeschüttelt wie zwei sahnige Milchshakes kommen wir am frühen Abend in Hornopiréns winzigen Hafen an. Natürlich geht kein Boot mehr – das hätte unser Glück auch etwas überstrapaziert, doch als wir hören, dass die Chance eher gering sei, auch morgen auf ein Boot zu kommen, beschleicht uns eine leichte Panik. Wir haben einen ziemlich engen Zeitplan (einer der ersten Tipps aller Reisenden dieser Route, genug Zeit mitzubringen, erweist sich hier schon als sehr weise, für uns aber als vollkommen nutzlos, da uns der Flug nach Australien im Nacken sitzt. Das ist Reisestress auf ganz hohem Niveau…) und müssen spätestens morgen früh auf das Schiff, ansonsten können wir gleich umkehren und würden die Steinformationen nie erreichen. Der Kampfgeist packt uns und so stehen wir am nächsten Morgen um halb sechs, früher als alle in der Zwischenzeit angereisten Konkurrenten am Hafen, um ein Ticket zu bekommen. Kennt ihr das, wenn man in einen Haufen herumstaksender Möwen einen winzigen Krumen Brot wirft und das neidische Gekreische, als ginge es um Leben und Tod, losgeht? Erschreckend ähnlich benahmen sich alle zivilisierten Reisenden, als das kleine Hafenamt um 7 Uhr die Pforten öffnet. Jeder war selbstverständlich als erster da. Meine Spanischfähigkeiten wachsen gerade in solchen Situationen ins Unermessliche und so lege ich mich gerne mit einer eifrigen Dame an, die unseren Platz in der Warteschlange nur allzu gern erobern möchte. Letztlich erweist sich das Gerangel als unnötig, alle kommen auf das erste Boot am Morgen und plötzlich ist man Freund und beglückwünscht sich gegenseitig. Der Mensch ist und bleibt ein eigenartiges Wesen. Die siebenstündige Fahrt durch Chiles traumhaft schöne Fjorde kann beginnen.

Teil II – Hornopirén nach Chaitén 160km

Ich liebe es in der Bildergalerie auf unserem PC zu stöbern und bleibe immer bei den Bildern der Carretera Austral hängen. Dieser Landstrich verzaubert geradezu durch seine Stille und einzigartige Schönheit. Auf der Bootsfahrt halte ich wirklich doll nach Walen Ausschau – leider vergeblich, so genieße ich die restliche Zeit der Tour im Windschatten des riesigen Schornsteins des Dampfers – mit der wärmenden Sonne im Gesicht. Dennis lädt pragmatisch die Elektronik im Bauch des Schiffes auf.

Zurück auf der Route hat uns der Fotowahn eingeholt und wir stoppen mit dem Wagen alle paar Kilometer, um Wunder mit der Linse einzufangen. Den angepriesenen Hike auf den Vulkan Chaitén lassen wir uns nicht entgehen. Kurz entschlossen springen wir in die Wanderschuhe, schmeißen ein paar Müsliriegel, Wasser und warme Jacken in den Rucksack. Der Weg ist gar nicht so lang doch wir stellen angestrengt fest, dass die Höhenmeter es in sich haben. Treppenstufen, die ungefähr auf Kniescheibenhöhe starten, fordern uns echt heraus. Begann der Weg im Tal noch im dichten Gestrüpp, so ändert sich das Landschaftsbild rasend. Abgebrannte, windschiefe Baumskelette strecken sich verzweifelt gen Himmel. Umgestürzte Baumriesen liegen verlassen am kahlgeschorenen Hang und zeugen von dem verheerenden Ausbruch von 2013, der fast das komplette Örtchen Chaitén unter Staub und Asche begraben hat. Teilweise sind die Pfade zum Rand des Vulkans kaum auszumachen und der Weg so steil, dass wir auf allen vieren hochklettern. Am Rand des Kraters starren wir ungläubig auf einen zweiten Vulkan, der beim Ausbruch im Vulkan entstanden ist. Quasi ein Vulkan in einem Krater. Ein kurioser Anblick – grauer Dampf steigt wütend aus der kaum auszumachenden Spitze heraus. Im äußeren Krater haben sich nach dem Ausbruch leuchtend blaue Seen in der Tiefe gebildet. Ein wunderschönes Naturchaos liegt zu unseren Füßen. Gerade noch gefreut, dass der Abstieg total unbeschwerlich sein muss, plumpsen wir die riesigen Treppenstufen hinunter und sind echt froh, als wir wieder heil am Auto ankommen, nicht ohne noch ein erfrischendes Bad im Gletscherbach genommen zu haben. Wer weiß, wann wir wieder eine Dusche finden würden…Am Abend erreichen wir Chaitén, die erste bewohnte Gegend, neben kleineren Häuseransammlungen oder verlassenen Hütten im Nirgendwo. Die kleine, mutige Stadt hat sich erstaunlicherweise enorm erholt, viele Häuser sind wieder aufgebaut, drei kleine Kneipen und Hostels haben ihre Türen wieder geöffnet. Doch vom Wirt hören wir, dass wohl viele Bewohner nicht mehr zurückkehren werden. Das Risiko einer weiteren Katastrophe ist bereits vorauszuahnen.

Wie praktisch, dass es auch ein winziges Krankenhaus gibt, da ich mich an diesem Abend noch richtig lang machen werden. Ein unglücklicher Schnürsenkelunfall schlägt mir heftig das Knie auf. Na Bravo! Seitdem meide ich Orte mit Krankenhäusern. Bislang nützt es. Kein gefährlicher Hike streckte uns nieder, aber die Lasche der Wanderschuhe wird zum Verhängnis. Zähne zusammenbeißen und weiter heißt es. Wir haben schließlich ein Ziel vor Augen. Wir parken das Auto mit der Nase zum Meer und trinken viel Wein. Ich habe diesen Tag danach echt super in Erinnerung. Die Nacht ist kühl und wir kuscheln uns warm eingepackt, tief in unsere Schlafsäcke. Am Meer aufwachen, ist eine ganz besondere Disziplin, Zähneputzen, angelehnt an die Motorhaube, Pflichtprogramm. Unser allmorgendliches Picknick besteht aus selbstgeschnippeltem Müsli. Frisches Obst, Milchpulver (hält sich), ein wenig Wasser und Knuspermüsli stärken uns für den Tag. Wirklich lecker und in der Natur schmeckt es sowieso noch viel besser. Vorteil: Man braucht lediglich zwei Schüsseln, Löffel und das gute, alte Schweizer Taschenmesser. Jetzt beim Tippen klingt es fast minimalistisch, aber glaubt mir, im diesen Augenblicken lebten wir wie Könige.

Teil III – Chaitén nach Puyuhuapi/Germantown 189km

Früh morgens verlassen wir Chaitén, nicht ohne das öffentliche Wifi am Hauptsquare, einer Wiese im Zentrum, zu nutzen. Zu Hause freut man sich sicherlich zu hören, dass wir noch munter sind.

Nun passieren wir kleinste Einseelendörfchen, wie El Amarillo, wo wir selig in heiße Quellen gleiten. Wir sitzen und genießen das dampfende Wasser, bis sich unsere Körper von der Kälte der Nacht erholt haben. Ein Pläuschchen mit einem schwulen Pärchen aus der Schweiz kommt gelegen. Unter der eiskalten Dusche sieht der Körper erstmals wieder Schaum. Prima, sauber geht es weiter, vorbei an Puerto Cárdenas, wo wir flott auftanken. Tankstellen sind eher selten und man sollte sie wohlweislich nutzen. Wir holpern Kilometer für Kilometer übers Geröll mit teilweise 35km. Google Maps hätte sicherlich fliegende Steine und eine nicht zu verachtende Staubwolke von uns zu verzeichnen. Die gesamte Carretera Austral gleicht einem einzigartigen Augenkino. Rauhes Gestein gespickt mit wilden Kräutern und Blumen wechselt sich mit saftig grünen Wiesen und unendlichen Feldern ab. Hängende Gletscher säumen die kurvige Route, wie Straßenmarkierungen die A1. Mal windet sich die Straße einspurig um kahle Felswände und nur die Hupe warnt den Gegenverkehr, dann öffnet sich das Land und wir fahren über riesige Plateaus auf einer dunkel schwarz geteerten Straße, die scheinbar am anderen Ende der Welt noch nicht enden will. Berge sind unsere Weggefährten und das Licht meint es gut mit uns und scheint die wunderschöne Umgebung geradezu anzustrahlen. Für die glasklaren Kristallbäche findet man kaum beschreibende Worte. Wir machen uns schon einen Spaß daraus, sie in die Kategorien pearly oder shiny, crystal clear oder sanft milchig abzustufen. Wasserfälle aller Größenordnungen schießen aus den Bergen und münden in wunderschöne Seen. Auf dem Hinweg flaut der Wind ab, so dass ein riesiger Fjord zur gigantischen Spiegelfläche wird – Ich habe mich gleich an den Strand gesetzt. Es war zu erwarten, dass Dennis die Finger nicht mehr von der Linse bekommt. Die Fotolocation war scheinbar von größerer Anziehungskraft als die nahe gelegene deutsche Micro-Brauerei in Puyuhuapi. Also gab es nur ein lokal gebrautes Flaschenbier und ein frisch gebackenes Miniweißbrot aus dem kleinen Kiosko. Vier dicke Scheiben Wurst konnten wir auch noch ergattern. Ein perfektes, echt patagonisches Nachmittagspicknik mit anschließendem Nickerchen auf dem Hafenkai war gesichert.

Teil IV – Puyuhuapi nach Coyhaique 234 holprige Kilometer

Der steinige Weg führt uns weiter durch den Nationalpark Queulat mit seinem gigantischen Gletschern. Umzingelt von Berggianten und Tannen, deren Höhe den gesamten Pfad in dunkle Schatten hüllen, folgen wir der Route gen Süden über den höchsten Pass (gerade mal 1200 Höhenmeter). Da uns die Zeit im Nacken sitzt, verschieben wir trotzdem alle extrem reizvollen Hikes. Auf dem Rückweg der gesamten Tour können wir glücklicherweise noch Strecke gut machen und schaffen den faszinierenden Gletscherwalk durch El Bosque Encantado, trotz kaputten Knies. Dennis hat sich mittlerweile auch zwei Zehen geprellt, als er mit Flip Flops auf Steinen durch ein Flussbett wandern musste. Die ganze Wandernummer erweist sich schließlich auch noch als äußerst knapp getimed. Wir starten den mit vier Stunden angepeilten Hike gegen 17 Uhr, wohlwissend, dass wir mit Sonnenuntergang ziemlich passend am Auto zurück sein sollten.

Spätestens als uns niemand mehr entgegen kommt, wissen wir, wir sind hier oben ziemlich alleine. Der Walk beginnt in einem Elfenwald – sofern es Elfen gibt, würden Sie zumindest hier vorzüglich wohnen. Moose und Flechten klettern an Bäumen hoch, Lianen hängen wie Girlanden bis zum Boden herab und zierliche rote Blüten sitzen entzückend überall im grünen Naturteppich. Das kräftige Abendlicht bricht in gold glitzernden Strahlen durch das dichte Blätterdach und taucht die Welt in ein magisches Licht. Wir verlieren nicht viel Zeit beim Staunen, schließlich wollen wir noch hoch hinaus. Und so wandern oder besser gesagt humpeln wir gute zwei Stunden über Steine und Stiegen, von Rangern freundlich arrangierten Baumstämmen auf dem matschigen Waldboden, klettern über umgefallene Baumriesen und überqueren einen breiten Gletscherbach.

Weiter geht es auf offener Pläne am steilen Hang entlang durch Heidekraut mit wunderschön pink leuchtenden Blüten und feinen Dornen, die uns die nackten Beine aufkratzen. Das Getöse von Wasser ist immer deutlicher auszumachen und als wir die letzten größeren Steine hochklettern, liegt unter uns ein leuchtend blauer Gletschersee mit riesigen schneeweißen Eisschollen, die auf der Oberfläche treiben. Unendliche Wassermassen stürzen von den umliegenden Bergen in die Tiefe und bilden sich stetig Tunnel durch die dicke Eisschicht hindurch. Keine lauten Stimmen oder herumwuselnde Touristen, die vergeblich die optimale Fotoperspektive ausloten, stören das wunderschöne Naturereignis, was uns aus den Tagträumen reißt und daran erinnert, dass wir ja rechtzeitig am Auto zurück sein sollten, um nicht in der Dämmerung herumzuirren. Also nichts mit romantischer Stimmung, die Vernunft hat ihren Aktenkoffer unter den Arm geschnallt und marschiert mit uns im Entenmarsch schnurstracks den Ziegenpfad hinab. Wir haben bestimmt einen neuen Rekord für die Strecke aufgestellt – wir fahren sogar noch im Hellen weiter und suchen ein schönes Fleckchen Natur, um unter patagonischem Sternenhimmel zu schlafen. Wir sollten bald merken, dass dies einen der schönsten Abende bzw. Nächte unserer Tour werden sollte. Wir parken an einer verlassenen Bucht mit Blick auf einen riesigen Binnensee. Die Sonne wirft fantastisches Licht über die in der Ferne liegenden Bergketten und beschert uns das ein oder andere geniale Foto. Dennis hüpf schon vergnügt um das Kamerastativ, die Flasche Wein gibt das Ihrige dazu. Ein kleines Abendbrot und Sterne gucken unter freiem Himmel und wir fühlen uns einmal mehr wie die Könige der Carretera. Dennis besingt (und das meine ich wörtlich!) die funkelnden Sterne noch bis tief in die Nacht, als ich schön müde im Schlafsack schlummere.

Zurück zum höchsten Pass der Route…dieser Abschnitt ist irgendwie gruselig. Autos sehen wir sehr selten, überall stehen abgestellte Bagger und Laster, die vom Willen der chilenischen Regierung zeugen, die Straßen befestigen zu wollen. Der Weg liegt im Schatten und ich atme instinktiv durch, als wir die engen Serpentinen hinter uns lassen und ein lang ersehntes Stück asphaltierter Straße vor uns liegt. Wunderschönes Schweizer Alpenland liegt uns zu Füßen – auf nach Coyhaique!

Teil V – Coyhaique nach Puerto Rio Tranquilo 230km Dirt-Road

In Coyaique gibt es hervorragenden Kaffee und Menschen(!). Tatsächlich tauchen mitten in der Pampa immer wieder kleine “Städte” auf und man wundert sich, wie sich die Leute hier bloß über Wasser halten. Wir bleiben nicht lange, es zieht uns zurück in die Natur und die Einsamkeit, zu wuselig scheint nun der kleine Markplatz. Die asphaltierte Straße führt uns noch angenehme Kilometer aus der Stadt hinaus und wir brausen an wunderschönen, satt grünen Feldern und Wiesen vorbei, lassen Berge rechts und links liegen, winken grasenden Lamas zu oder verrenken uns die Hälse bei leuchtend violetten Blumenfeldern, die die Serpentinen säumen. Heidi würde vor Neid erblassen oder ein Sträußchen pflücken, wer weiß. Kann Natur duften, oder haben wir uns das bloß eingebildet? Auf jeden Fall sind unsere Sinne immer schon früh abends erschöpft und mit Untergang der Sonne, besuchen wir Morpheus Reich. Mit Blick auf die wundervollste Serpentinenroute, gibt es ein Frühstück auf der Motorhaube und wir bereiten uns auf den letzten, anstrengendsten Teil der Carretera vor. Schlaglöcher reihen sich aneinander und der Panikgriff im Wagen verdient erstmals seinen Namen. Hihi. Wir holpern und springen volle 120km über Geröll und einspurige Brücken, deren Balken ordentlich knarzen, als unser PickUp schwer drüber hinweg fläzt. Manche dieser Überwasserkonstruktionen sind uns nicht ganz geheuer und wir halten kurz die Luft an, als würde es etwas bringen. Die Farben sind ein Paradis für die Augen und die grellen Brückenarme bilden geniale Kontraste zur Natur.

Kurz vor Schluss überrascht uns ein zufrieden winkender Roadworker. Fast hätten wir zurück gewunken, als ein riesiger Stein direkt vor uns den Abhang herunterknallt. Erschrocken entdecken wir einen knatschgelben Bagger am Hang über unseren Köpfen, der fleißig Abraum in die Tiefe schaufelt und uns wird klar, dass der freundliche fuchtelnde Arbeiter vermutlich versuchte uns zum Anhalten zu bewegen. Ein sehr zart besaiteter Typ – hätte er doch gerne das Stoppschild einfach kerzengerade hochhalten können…prima – auf den Schock fotografieren wir erstmal ein Dixieklo am Wegesrand und weiter geht’s.

Von der Klohütte zu Onkel Toms Hütte. Eines der schönsten Fotomotive ist das im tiefen Gras halb versteckte Holzhaus am Rio Tranquilo. Eigentlich halten wir wegen der Stachelbeeren. Ich glaube, ich nehme Beerenpflücken in meine Hobbyliste mit auf – das kann ich vorzüglich. Auf diesem Streifzug entdecken wir die kleine verwitterte Hütte inklusive Lokus. Das satte Blau im Hintergrund ist schonmal ein kleiner Vorgeschmack auf das, was uns am Ende unserer Tour erwartet. Als wir dann Puerto Rio Tranquilo erreichen, verschlägt es uns doch die Sprache. Daher schaut euch doch lieber die Fotos an und stellt euch uns dabei neben unserem PickUp stehend und starrend vor. Wir haben es wirklich geschafft. Die Marmorsteine sind nur noch eine Bootsfahrt entfernt – zum Greifen nah. Und weil wir an diesem Tag das Glück ganz arg herausgefordert haben, schaffen wir es auf ein kleines Motorboot und fahren auf den kristallklaren See hinaus. Das Licht hätte noch etwas perfekter stehen können, aber da muckt nur kurz der ganz strenge Fotograf in Dennis. Viel größer ist die Freude und der Stolz – Wir sind an einem ganz besonderen Fleckchen unserer Erde angekommen.

Teil VI – schnell zurück 900km

Als wir in Rio Tranquilo die Kehrtwende machen, um den Rückweg einzuschlagen, wird es still im Auto. Es fühlt sich falsch an diesen wunderschönen Ort schon wieder verlassen zu müssen und so halten wir noch einmal an der kleinen Hauptstraße und kaufen uns in einem kleinen Lokal zwei Chacareros. Ab geht es zum sandigen Ufer des Rio Tranquilo und wir essen schweigend unsere Bohnenburger. Unsere Blicke verlieren sich im kräuselnden Wasser. Das war ein guter Abschied. Wir haben es wirklich geschafft!

Mit The Whitest Boy Alive in den Ohren treten wir nun zufrieden den Rückweg an. Alle ausgelassenen Fotooptionen und Hikes stehen nun auf dem Plan. Gewiss ist ausschließlich die Abfahrt der Fähre in zwei Tagen von Chaitén nach Puerto Montt, die wir besser nicht verpassen sollten.

Lustig ist, dass wir gar nicht das Gefühl hatten, den Weg zweimal zu machen, ganz im Gegenteil. Die Rücktour glich eher einem Auffrischen von gefühlt alten Erinnerungen und einem Entdecken vieler kleiner Dinge, die uns vorher entschlüpft waren. Von Langeweile oder Überdruss also keine Spur. So halten wir auch ein zweites Mal im Parque Queulat und schlagen den Hike zu den hängenden Gletschern ein. Wir sind die ersten im Park – das passiert uns selten. Unterwegs machen wir ein kleines Picknick zur Stärkung als ein lautes Rumpeln durch den Wald hallt. Später erfahren wir, dass ein riesiges Gletscherstück hinabgestürzt sei. Immerhin haben wir es rumpeln hören. Der Anblick des Gletschers ist beeindruckend und wir warten leider vergebens, dass ein weitere Brocken abbrechen würde. Mittlerweile geübt, fliegen wir den Weg zurück und schaukeln noch ein wenig auf der riesigen Hängebrücke. Wir schaffen es rechtzeitig nach Chaitén und verabschieden uns gebührend: mit dem Jeep geht es einen kurzen Schotterweg zum verlassenen Stadtstrand hinunter, wo wir wie ein Hündchen in seinem Korb noch ein zwei Runden drehen und unseren Schlafplatz für die letzte Nacht finden. Wir bekommen einen letzten grandiosen Sonnenuntergang geschenkt und parken am nächsten Morgen unseren roten Helden an Bord der Autofähre.


In Puerto Montt ist es früher Abend und wir hetzen zum Flughafen, schieben den Mietwagen über die Ladentheke, heizen mit dem Taxi zurück in die Stadt, kaufen zwei Tickets für den Nachtbus nach Chile, um an nächsten Tag dort mittags ins Flugzeug nach Sydney zu steigen…Läuft!

One thought on “Carretera Austral – Reaching for the Stars

  • Sabine 2016-03-01 at 22:55

    Als würde man alles mit eigenen Augen sehen! Tolle Schreibe, tolle Bilder!! LG Bine

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