Potosí – Silber, Stein und Asbest

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Eigentlich können wir nun nach Hause – Bolivien war das Ziel der Ziele. Mit dieser fixen Idee starteten wir unsere Route in Südamerika, angespitzt von einer Dokumentation, die wir mit wachem Auge vor sicherlich vier oder fünf Jahren auf Arte gesehen haben. Die Salzwüste im Süden des Landes war seither unser einzig sicherer Plan auf unserem Trip.

Doch das ein oder andere Abenteuer schleicht sich auf den 1000km zwischen La Paz und Uyuni doch noch ein. Hier nur ein kleiner Vorgeschmack auf den nächsten Post 🙂

Wir kehren vorerst dem niedlichen Sucre kurzum den Rücken. Durch wunderschöne Ebenen und seichte Bergrücken der Anden schlängeln wir uns sicher eingequetscht in einem Taxi Compartido in Richtung der Stadt des Silbers und der gewaltigen Bodenschätze. Die roten Staubwolken Potosís empfangen uns bereits vor der Stadtgrenze durch das klägliche Belüftungssystems des klapprigen Wagens. Das Ruhrpottherz hüpft. Der innere Tourist rümpft die Nase und fragt sich ganz ehrlich, was man hier nochmal genau wollte.

Vor uns erstreckt sich eine braune Häusermasse, zusammengepfercht im Tal, zu Füßen des schlafenden Silberriesen Cerro Rico, ein von Mienen und Schächten erbarmungslos zerfressener Berg, der eines der größten Silbervorkommen der Erde in sich birgt.

Ausgemergelte Männer und ziemlich junge Burschen…arbeiten hier nicht selten weniger als zwanzig Stunden in winzigen, stockdunklen Schächten, Cocablätter kauend, um den Mangel an Nahrung und Flüssigkeit zu vergessen. Der Dank ist groß, als ein fünfköpfiger Trupp an Touristen, angeführt von einem ehemaligen Minenarbeiter neugierig die Köpfe in eines der dunklen Löcher steckt und ein fantaähnliches Getränk hinunterreicht. Der Klang von Eisen auf Stein endet abrupt und zwei müde Augenpaare beobachten interessiert. Man ruft ein paar freundliche Worte nach oben, lacht, erzählt etwas Komisches, Unterhaltsames. Herr Trübsinn ist hier unten verbannt, zu dunkel ist die Welt schon von allein. El Tío, der gehörnte Gott der ehemaligen Minersklaven sorgt hier für Ordnung. Ihn beten sie an, wenn sie Glück, Geld, Kindersegen, oder auch Rache wollen.

Greller Sonnenschein blendete uns noch vor knappen zwei Stunden, als wir zu Beginn unserer Tour auf dem Markt der Minerfrauen Geschenke für die Mineros kaufen. Beutelweise Cocablätter sind eine Selbstverständlichkeit. Wir kaufen noch eine 1,5L Fanta, das mögen die Arbeiter, versichert uns Beto, unser Guide. Mit unserer blauen Sicherheitskleidung, Helmen, Gummistiefeln und den Kameras wirken wir zwischen den Arbeitern, die nach ihren Schichten zum Essen herkommen, eher wie wilde Springböcke auf einer Schweizer Alm. Doch alle sind freundlich, es wird viel gelächelt, zugenickt, aber wenig gesprochen. Die blauen Springböcke sind wohl doch etwas befremdlich.

Wir kaufen Dynamit. JA, DYNAMIT! Eine unscheinbare, handgerollte Stange am Ende sorgfältig, spitz zusammengefaltet. Gratis dazu gibt es eine Lunte und einen Zünder. Alles wird gut verstaut und innerlich bereiten wir uns freudig darauf vor, die gekauften Geschenke an die Mineros weiterzugeben. Das ist hier der Gang der Dinge. Jeder Tourist kauft einige wenige Gastgeschenke (und seien es Dynamitstangen) und nimmt diese mit Unter Tage.

Doch bevor es so richtig los geht, besuchen wir ein Silberwerk. Mit Masken vor Nase und Mund betreten wir die provisorischen Hallen, in denen aus dem Stein die Metalle gewaschen werden. Ein riesiges Zahnrad jagt das Nächste, Überläufe werden abgepumpt, Wasser spült über endlose, graue Gesteinmatsche, die über Laufbänder von einer zur nächsten Station gespült wird. Ein feiner Staub lagert als Endprodukt im Innenhof und wird zum Trocknen mit Spaten gewälzt. Von Silber noch keine Spur. Das erledigen die reichen Länder Südamerikas. Bolivien baggert und klöppelt sich arm.

Unsere Gruppe ist wirklich lustig. Ein armer Norddeutscher misst mehr als 2 Meter. Er wird förmlich durch den Schacht krabbeln. Ungeschickt rennt er gegen alle herunterhängenden Balken und Pfosten. Leise grunze ich in mich hinein und schlage selbst gegen den nächsten Holzbalken. Mit seinen Stelzenbeinen wirkt er trotzdem irgendwie wie ein Storch in der Röhre. Dennis findet scheinbar Gefallen an dem Burschen. Als Fotokomplizen verlieren sie prompt den Anschluss an die Gruppe und stehen verloren im dunklen Schacht, als sich vor ihnen eine einsame Abzweigung auftut. Gerade noch erzählte uns Beto, wie gefährlich es als Anfänger sei, wenn man sich hier unten verliere oder wenn plötzlich die Lampe den Geist aufgäbe…etwas naiv entscheiden sich die beiden für den richtigen Weg und finden uns wieder. Erst zwei Tage nach der Tour erfahre ich von dieser brenzligen Situation. Dennis hat den Schalk im Nacken. Jetzt ist er ja sicher-und hat einmal mehr gute Bilder im Kasten.

Immer wieder pressen wir uns an die kühlen, feuchten Wände, um Arbeitern Platz zu schaffen, die mit bloßer menschlicher Kraft vollbeladene Loren anschieben. Man muss sich vorstellen, dass man bis zu den Knöcheln in matschigem Pfützenwasser steht und faustgroße Steine oder Löcher im Boden das Voranschreiten recht unsicher gestalten. Die Schienen, auf denen die Lore rutscht, würde vom deutschen TÜV wohl kaum durchgewunken werden. So entfernen sich die beiden Eisenstangen mal mehr oder weniger voneinander und bilden so etwas wie eine muntere Schlittenspur.

Wir rasten immer wieder in kleinen und größeren Nischen, Beto erzählt, erklärt mit leuchtenden Augen und spätestens nach dem Erklimmen dreier schmaler Holzleitern durch noch schmalere senkrechte Schächte haben wir vollkommen die Orientierung verloren. Die Stiegen sind rutschig und voller Matsche. Beim Wechsel von einer Leiter zur Nächsten drehe ich mich um 90Grad, die Wand im Rücken und hoffe den selben Weg nicht wieder zurück zu müssen. Nichtsahnend steige ich die letzte Leiter hinauf und schaue auf, als ich so etwas wie eine Ebene vor mir fühle. Ich erschrecke zutiefst, als vor mir eine menschengroße Tonfigur sitzt. El Tío grinst uns frech entgegen und wir nehmen auf Steinen zu seinen Füßen Platz. Das mit dem Anlehnen sollte man sich hier gut überlegen, pelziger Asbest lächelt uns an, aber ist nur ne ganz harmlose Art…Ahja! Das Dynamit haben wir noch erfolgreich an den Mann gebracht. Sprengung erfolgt zeitnah.

Nach drei Kilometern Fußmarsch, Watschelgang, Krabbelmarsch und Kletteraction erblicken wir endlich ein Licht am Ende des Tunnels. Und diesmal ist es keine Maulwurfkopfleuchte eines anderen Mineros.

Zurück in der Freiheit atmet man instinktiv tief durch und merkt erst jetzt, wie beklemmend die Welt ist, deren Luft wir kurz schnuppern durften. Die Mineros kommen morgen wieder, übermorgen und die nächsten vierzig Jahre, wenn sie so lange durchhalten.

Panoramic view from the mine
Panoramic view from the mine. To the right you can see the whole mountain being worked on. To the left you see Potosí.

2 thoughts on “Potosí – Silber, Stein und Asbest

  • Boy 2015-12-18 at 05:20

    Seems like a unique expercience wandering and even crawling through those mines. Harsh life for those mineros. Btw, I am still curious of where you guyz stay, what kind of places you call home for the night. Hotels, tent, boats a local wooden shack perhaps? 😉

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